
Polen ist ein Land voller lebendiger Traditionen und tief verwurzelter Feste, die weit über religiöse Feierlichkeiten hinausgehen. Viele dieser Bräuche spiegeln die Verbindung zur Natur, zur Familie und zur nationalen Geschichte wider. Ob kirchlich, historisch oder volksnah – traditionelle Feste in Polen prägen den Jahreslauf und sind ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens.
Januar: Neujahr und Dreikönigstag
Das neue Jahr startet in Polen traditionell mit familiären Besuchen und dem Austausch von Neujahrswünschen. Ein ganz besonderer Feiertag folgt kurz darauf: Am 6. Januar wird der Dreikönigstag (Trzech Króli) gefeiert – einer der ältesten christlichen Feiertage des Landes. Kinder ziehen verkleidet als die Heiligen Drei Könige durch die Straßen, tragen Sterne und singen Kolędy (Weihnachtslieder). An diesem Tag wird auch gesegneter Weihrauch und Kreide in die Häuser gebracht, mit denen über die Haustür die Buchstaben „K+M+B“ geschrieben werden – die Initialen der drei Könige, aber auch die Abkürzung für „Christus segne dieses Haus“ auf Lateinisch („Christus Mansionem Benedicat“).
Der Marzanna-Brauch – Den Winter ertränken!
Im Frühjahr pflegen die Polen den traditionellen Marzanna-Brauch: Eine Strohpuppe, die den Winter symbolisiert, wird in einen Fluss geworfen oder verbrannt. Diese symbolische „Ertränkung“ des Winters stammt aus vorchristlicher Zeit und wurde im Mittelalter von der katholischen Kirche zunächst bekämpft, später aber in den Volksglauben integriert. Besonders Kinder basteln Marzanna-Figuren und ziehen in Gruppen zum Wasser, um damit den kalten Winter endgültig zu verabschieden – oft begleitet von Liedern und Reimen. Der Brauch ist nicht nur ein schönes Ritual, sondern vermittelt auch kulturelle Werte an die nächste Generation.
Frühling: Ostertraditionen und Marzanna-Brauch
Ostern (Wielkanoc) ist in Polen das wichtigste religiöse Fest des Jahres. Bereits am Palmsonntag werden kunstvolle Palmen aus Weidenzweigen, Blumen und Bändern gebunden – ein Symbol für den Einzug Jesu in Jerusalem. Am Karsamstag bringen Familien traditionell Speisen in einem Osterkorb zur Segnung in die Kirche – darunter Eier (Symbol für neues Leben), Brot (Lebensgrundlage), Salz (Reinheit) und Wurst (Fülle). Am Ostersonntag folgt das feierliche Frühstück, bei dem ein gesegnetes Ei symbolisch geteilt wird. Am Ostermontag kommt dann der Śmigus-Dyngus, bei dem das gegenseitige Bespritzen mit Wasser für Fruchtbarkeit, Reinigung und Frühlingsbeginn steht – ein Brauch, der seine Wurzeln in alten slawischen Ritualen hat.
Die Wasserschlacht am Ostermontag – Śmigus-Dyngus
Am Ostermontag, bekannt als Śmigus-Dyngus, gehört es zur polnischen Tradition, sich gegenseitig mit Wasser zu begießen. Ursprünglich bestand der Brauch aus zwei Elementen: „Śmigus“ (mit Zweigen schlagen, um Gesundheit zu bringen) und „Dyngus“ (um Gaben bitten). Diese heidnischen Rituale wurden später zusammengeführt und mit christlichen Bedeutungen überlagert. Heute ist Śmigus-Dyngus vor allem ein fröhlicher Spaß – in manchen Städten gibt es sogar öffentliche Wasserschlachten auf zentralen Plätzen.
Mai: Verfassungs- und Flaggentag
Der Mai steht in Polen ganz im Zeichen des Patriotismus. Am 2. Mai wird der Tag der polnischen Flagge gefeiert – ein vergleichsweise junger Feiertag, der erst 2004 eingeführt wurde. Er erinnert auch an das Hissen der polnischen Flagge auf dem Berliner Reichstag im Jahr 1945. Tags darauf, am 3. Mai, folgt der Gedenktag zur Verabschiedung der Verfassung von 1791 – der weltweit zweitältesten geschriebenen Verfassung nach der der USA. Dieses Datum ist ein Symbol für Freiheitswillen, Demokratie und nationale Einheit. Beide Tage werden mit Paraden, Konzerten und offiziellen Reden begangen – und mit zahlreichen Flaggen an Fenstern, Balkonen und öffentlichen Gebäuden.
Sommer: Fronleichnam und Dożynki
Im Sommer rückt die Gemeinschaft in den Vordergrund: Das katholische Fronleichnam-Fest wird mit feierlichen Prozessionen gefeiert, bei denen die Monstranz unter einem Baldachin durch die Straßen getragen wird. Die Route führt oft an vier Altären vorbei, die mit Blumen, Birkenzweigen und religiösen Motiven geschmückt sind – jede Station steht symbolisch für die Evangelien. Später im Sommer beginnt die Zeit der Dożynki – der traditionellen polnischen Erntedankfeste. Diese haben ihren Ursprung in heidnischen Dankesritualen für eine gute Ernte und wurden später christianisiert. Heute sind sie ein farbenfrohes Fest für die ganze Gemeinde, mit Folklore, Trachtenumzügen und regionalen Spezialitäten. Der Höhepunkt ist das Überreichen eines Erntekranzes an die lokalen Behörden als Zeichen des Dankes.
Herbst und Winter: Allerheiligen und Weihnachten
Am 1. November (Allerheiligen) und dem darauffolgenden Allerseelentag gedenkt Polen seiner Verstorbenen. Millionen Menschen besuchen an diesen Tagen die Friedhöfe – nicht nur aus religiöser Pflicht, sondern auch als Ausdruck familiärer Verbundenheit. Die Tradition, Gräber mit Blumen, Kerzen und Lichtern zu schmücken, schafft eine fast mystische Atmosphäre – vor allem in der Dunkelheit, wenn ganze Friedhöfe in sanftem Licht leuchten. Viele Familien kommen bereits Tage vorher zusammen, um die Ruhestätten zu reinigen und gemeinsam zu beten.
Den emotionalen Höhepunkt des Jahres bildet das Weihnachtsfest. Besonders wichtig ist der Heilige Abend (Wigilia) am 24. Dezember. In vielen Haushalten wird unter dem Tischtuch etwas Heu gelegt – zur Erinnerung an die Krippe. Bevor das Festmahl beginnt, hält man Ausschau nach dem ersten Stern am Himmel, dem „Stern von Bethlehem“. Danach teilt man die Oblate (Opłatek) – ein Symbol für Vergebung und Zusammenhalt. Der Abend endet für viele mit dem Besuch der Pasterka, der Mitternachtsmesse. Weihnachten in Polen ist nicht kommerziell geprägt, sondern bleibt ein zutiefst familiäres und spirituelles Ereignis.
Wigilia – Ein Platz für den unerwarteten Gast
Am Heiligen Abend, in Polen als Wigilia bekannt, wird traditionell ein zusätzlicher Platz am Tisch freigehalten – für einen unerwarteten Gast. Dieser Platz symbolisiert die polnische Offenheit und Gastfreundschaft, besonders gegenüber Fremden und Bedürftigen. Nach altem Glauben sollte niemand an diesem Abend allein sein – auch nicht der zufällige Fremde an der Tür.
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Traditionelle Feste in Polen sind viel mehr als nur festgelegte Feiertage – sie sind lebendige Brücken zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie erzählen von einem Land, das seine Wurzeln kennt und seine kulturelle Identität mit Stolz bewahrt. Wer Polen wirklich verstehen will, sollte diese Feste nicht nur beobachten, sondern selbst einmal miterleben – sei es bei einem familiären Wigilia-Essen, einer Fronleichnamsprozession oder einer ausgelassenen Śmigus-Dyngus-Schlacht.
Zuletzt aktualisiert am 03/10/2025
